Grethe Jürgens Retrospektive im Sprengel Museum
Eine eindrucksvolle Ausstellung vom 22.2. bis 15.6.2025
Das Sprengel Museum Hannover präsentiert die erste umfassende Retrospektive zu Grethe Jürgens, einer prägenden Künstlerin der Neuen Sachlichkeit in den 1920er Jahren. Seit 1984 beherbergt das Museum ihren Nachlass, der nun im Jubiläumsjahr der Neuen Sachlichkeit in einer groß angelegten Ausstellung gewürdigt wird.
Gezeigt werden rund 180 Werke aus verschiedenen Schaffensphasen, darunter charakteristische Porträts, Stadtlandschaften und spätere abstrakte Arbeiten. Zahlreiche Dokumente wie Fotografien, Skizzenbücher und illustrierte Bücher ergänzen die Ausstellung und erlauben einen tiefgehenden Einblick in das Leben und Wirken der Künstlerin.
Abb. links: Grethe Jürgens "Maritim", 1970
Abb. rechts: Grethe Jürgens: "Krankes Mädchen", 1926
Ein begleitender Katalog, herausgegeben im Snoeck Verlag, beinhaltet Beiträge verschiedener Autorinnen und würdigt Grethe Jürgens’ Bedeutung für die Kunstgeschichte (39 Euro).
Werdegang und Stil
1899 in der Nähe Osnabrücks geboren, begann Grethe Jürgens ihr Grafikstudium in Hannover, wo sie auf Künstlerinnen und Künstler traf, die später die hannoversche Gruppe der Neuen Sachlichkeit prägten. Schon früh zeigte sich ihr Talent in eindrucksvollen Porträts und lebendigen Stadtansichten. Ihre charakteristische Bildsprache beschreibt Kuratorin Karin Orchard: „Grethe Jürgens entwickelte einen unverkennbaren Stil, der durch präzisen Realismus und einen analytischen, distanzierten Blick besticht. Mit großer Sensibilität hielt sie das Leben von Arbeiter*innen und gesellschaftlichen Randgruppen fest, ohne zu verurteilen oder zu idealisieren. Ihre Werke beleuchten feinfühlig die sozialen Spannungen und Herausforderungen des Lebens am Rand der Gesellschaft.“
Ihren künstlerischen Durchbruch erlebte Jürgens mit ersten Ausstellungen ab 1928. Ihre Werke fanden rasch Anerkennung und wurden von öffentlichen Sammlungen erworben. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich das Umfeld für die Kunst dramatisch. Obwohl sie sich in der Reichskammer der bildenden Künste registrieren musste, blieb Jürgens unabhängig und trat der NSDAP nicht bei. Um den Repressionen zu entgehen, wandte sie sich unpolitischen Themen wie Landschaften und Pflanzen zu. Diese Phase, die sie selbstironisch als „Unkrautmalerei“ bezeichnete, zeigt ihre kreative Anpassungsfähigkeit.
Besondere Beachtung fanden Jürgens‘ „Trümmerbilder“, die das zerstörte Hannover eindrucksvoll dokumentieren. Diese Werke fangen sowohl die Schrecken des Krieges als auch die Hoffnung auf Wiederaufbau ein.
In den 1950er Jahren erfuhr Jürgens eine wachsende Anerkennung als wichtige Vertreterin der Neuen Sachlichkeit. Ihre späteren Arbeiten zeigen eine Weiterentwicklung hin zur abstrakten Kunst mit innovativen Serien wie den „Linienkompositionen“ und den „Kaleidoskopen“. Sprengel Museumsdirektor Reinhard Spieler konstatiert: „Lange Zeit stand Grethe Jürgens im Schatten anderer Vertreterinnen und Vertretern ihrer Generation – diese Schau, die erstmalig seit den 1950er Jahren einen Überblick aus allen Schaffensphasen präsentiert, bietet die Gelegenheit, ihre künstlerische Bandbreite neu zu entdecken und sie als eine der vielseitigsten Stimmen ihrer Zeit neu zu würdigen.“
Mit der Retrospektive eröffnet das Sprengel Museum Hannover einen umfassenden Blick auf das vielseitige Werk von Grethe Jürgens. Die Ausstellung beleuchtet nicht nur ihre Rolle als Künstlerin der Neuen Sachlichkeit, sondern auch ihre Anpassungsfähigkeit und Experimentierfreude in politisch und gesellschaftlich herausfordernden Zeiten.
Niedersachsens Kulturminister Falko Mohrs bemerkt: „Auch für die Neue Sachlichkeit gilt: es gibt viele berühmte männliche Vertreter aufzuzählen, aber nur eine Handvoll bekannter Künstlerinnen. Die fehlende Sichtbarkeit von Künstlerinnen in Sammlungen und Ausstellungen ist ein hochaktuelles Thema. Umso mehr freut es mich, dass das Sprengel Museum Hannover mit der Ausstellung das außerordentliche Gesamtwerk von Grethe Jürgens würdigt und uns die Gelegenheit gibt, die Künstlerin in ihrer ganzen Schaffensbreite kennenzulernen.“

Grethe Jürgens "Liebespaar" 1930
Ute Micha, PreDiNo/Sigrid Lappe, HaWo/Abb. Sprengel Museum Hannover/Titelbild "Liebespaar" 1930